So beschrieb letzte Woche, im Rahmen einer Podiumsdiskussion, ein namhafter polnischer Autor Europa. Bezeichnend: der angekündigte Moderator der Veranstaltung fehlte. Es war der Chefredakteur vom Deutschlandfunk, der in Deutschland gerade seinen hutlosen Kopf hinhielt.
Das Interessante an der Mistkäfer-Theorie: Die Käfer bilden eine Gruppe, arbeiten zusammen. Helfen einander, wenn einer gerade auf dem Rücken liegt. Und können dennoch Individuum sein, genau soviel Dreck tragen, wie sie gerade brauchen.
Hm. Aber das Individuum ist weder Weg noch Ziel (Kant dachte dabei ganz sicher nicht an einen föderalistischen Hutverband. Eher an den westfälischen Frieden, dessen Bedeutung für die Hüte von heute mir verschwindend gering erscheint). Das Individuum ist ein egoistisches Arschloch, dem die Gruppe mal ordentlich die Hutkrempe runter rutschen kann. Natürlich ist die Sache komplexer, vielschichtiger, allumfassund und überhaupt nie und nimmer in einem Menschenleben zu beantworten.
Dennoch: eine differenzierte Betrachtung dieses Europas, dieser vereinten Hutkultur, lässt wenig Platz für Optimismus. Viel eher: ein bisschen mehr Pessimismus würde uns gut tun. Dieses friedliche Nebeneinander ist schon viel zu fest und steif geworden, als könnte es keiner mehr umschubsen. Als wäre dieses Europa ein Nationalstaat, der schon immer bestanden habe. Fein, aber auch jahrtausendealte, gewachsene und gefestigte Staaten führen Bürgerkriege. Zerbrechen. Formen sich neu. Das letzte Mal in großem Stil vor 65 Jahren. Vielleicht müssen sich Hutmacher, Hutkäufer und Hutskeptiker erst der Tatsache gewahr werden, dass sechs Jahrzehnte Selbstbestimmung und Frieden nicht selbstverständlich sind. Und gleichzeitig noch nicht lang genug Bestand haben, um irgendeinen Teil dieses Konstrukts als gefestigt oder gar stark zu betrachten.
Dazu noch die Generationenfrage. Der italienische Gesprächspartner – weltberühmter Essayist und Kolumnist – legte recht überzeugend dar, dass die intellektuelle wie auch emotionale Barriere zwischen den Generationen mit den Jahren gewachsen ist. Sind wir also heute noch ignoranter und ungebildeter als die Generationen unserer Eltern und Großeltern? Sind nicht sowohl Arbeiter wie auch Bürgertum wie die Schafe in den Ersten Weltkrieg gelaufen? Haben den Begriff „Individuum“ gar nicht als Teil Ihres Wortschatzes begriffen. Ihre Kinder demnach auch prompt als Teil des Höheren – der Gemeinschaft – erzogen. Ein neuer Haufen Schafe, das Erbe der Eltern blindlings antretend, hinter dem nächsten Kaiser/Führer/Leithammel hinterher marschierend. Und heute? Scheint die Herde keinen mehr zu interessieren. Grast jedes Schaf für sich allein. Individuum. Ist das einzelne Schaf nun weniger dumm, faul und ignorant?
Ich drehe mich hier sicher im Kreis mit dieser Schlaumeierei um das Schlechte im Menschen. Ernst ist es mir trotzdem. Denn: ich mag wirklich nicht mehr recht glauben an dieses Europa. Auch an ein anderes nicht. Ich weiß, dass wir es brauchen, auch zu tief drin stecken, um links und rechts überhaupt noch wahrzunehmen, geschweige denn, als Alternativen zu erkennen. Sicher verfinstert die Situation in dieser französisch-niederländischen Enklave meine Sichtweise noch. Belgique, c’est pas un pays, c’est un problème. Und doch: was Belgien im Kleinen, das ist Europa im Großen. Nicht in jeder Hinsicht, aber zu einem erschreckend großen Teil. Immer dann, wenn es dem einzelnen an den Kragen geht, nämlich. So wie den Belgiern seit der Gründung ihres Staates. Gestern haben die Sozialisten übrigens die Wahl gewonnen. Interessieren tut das keinen. Fast wie die Sache mit diesem Europa.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen